Es ist für unsere Kinder so selbstverständlich wie normal, dass sie ihre YouTube Stars haben und ihren Idolen auf Instagram folgen. Schliesslich brauchen wir alle Vorbilder und inspirierende Menschen, dies ganz besonders während den identitätssuchenden Teenage-Jahren.
YouTube Stars mit Millionen von Abonnenten werden im Fachjargon Influencer genannt. Dies genau deshalb, weil sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf ihre grösstenteils jungen Fans haben.
Seit geraumer Zeit gibt es auch sogenannte computer generierte influencer (CGI) die zu hundert Prozent aus Pixel bestehen, jedoch von vielen Jugendlichen als echte Personen wahrgenommen werden. Führende Modemarken profitieren von dieser neuen Generation von Influencer und bekleiden die Avatare mit ihren (virtuellen) Klamotten.
Lil Miquela, eine der berühmtesten CGI, hat mittlerweile über 1,2 Millionen Follower auf Instagram und trägt auch schon mal ein Chanel T-Shirt. Lil Miquelas «Eltern» sind Computer Grafiker und Programmierer des IT StartUps Brud in Los Angeles und verkaufen ihr Geschöpf an führende Marken.
Haben wir in unserer digitalen Welt überhaupt noch einen Anspruch auf Echtheit, wenn es um Bilder und bewegte Bilder geht? Vor ein paar Wochen kam meine bald 15-jährige Tochter von der Schule nach Hause und sagte mir, dass die Schule ihrer Kollegin Zoé die Finger abgeschnitten hätte. Natürlich wurde ich sofort hellhörig und hakte nach, was da wirklich geschah. Zoé war in der ersten Reihe beim Klassenfoto und hatte beim Fotoshooting heimlich und unauffällig den Stinkefinger gezeigt. Da ein erneutes Shooting wahrscheinlich zu teuer wäre und da ein diskreter Stinkefinger auf der Klassenfoto politisch nicht akzeptabel ist, wurde ihr Mittelfinger kurzerhand wegretuschiert. Ästhetik vor Authentizität, also auch in der Schule.
Vielleicht hatten wir ja gar nie einen wirklichen Anspruch auf Echtheit für unsere Influencer. Vielleicht ist dies ja eine ganz normale Entwicklung. Seit über fünfhundert Jahren bewundern wir Michelangelos Gemälde von Gott mit grauem Bart in den Wolken sitzend. Milliarden von Menschen akzeptieren ihn als Influencer, quasi als «IGI», also ein «imaginär generierter influencer». Derweil der IGI unter anderem 10 Gebote offeriert, beschränken sich die CGIs auf schnelllebige Konsumgüter. Avatar kommt übrigens von Avatara, was im Hinduismus körperliche Manifestation eines Gottes bedeutet. Über die Echtheit von Bildern zu sprechen ist sicherlich eine gute Idee. Eine Diskussion über die Werte, die das Bild vermittelt, ist vielleicht noch besser.